Politiker als „Mobbing-Experten“
Kostenloses Angebot ab 1. August
Wiesbaden. (ed) Gehören die Schikanen des Kollegen, die Demütigungen des
Chefs oder die diffamierenden Gerüchte, die der Untergebene in die Welt setzt, zum üblichen Konfliktpotenzial am Arbeitsplatz – oder ist das schon Mobbing?
Zwei Drittel derjenigen, die sich an den gemeinnützigen Verein gegen psychosozialen Stress und Mobbing in Wiesbaden wenden, stellen den Experten derartige Fragen. Viele überbewerten dabei normale Konflikte, so der Sozialpädagoge Lothar Drat, Vorsitzender der Einrichtung, beziehungsweise verwenden den Begriff infolge einer „Hysterisierung“ völlig falsch: Heute spricht schon ein Kind, das keine Taschengelderhöhung bekommt, von Mobbing, und viele fühlen sich vom Kanzler gemobbt oder sogar vom Wetter. Tatsächlich liegt Mobbing Drats Definition zufolge erst dann vor, wenn ein Mensch an seinem Arbeitsplatz über einen langen Zeitraum hinweg systematisch mit dem Ziel schikaniert wird, ihn aus dem Unternehmen zu drängen. In manchen Fällen ziele der Täter sogar darauf ab, das Opfer „als gesamte Person zu vernichten“.
Vorbilder für sein übles Spiel finde der Böswillige heutzutage besonders in der Politik. In Zeiten des Werteverfalls, in denen also Erfolg, Überlegenheit und Macht sehr viel höher bewertet würden als Respekt, Solidarität und Zivilcourage „trauen sich (einzelne) Politiker für Ihren Machterhalt einfach alles, und die Masse Mensch kopiert das“. Als Beispiel nannte Drat Gerüchte, die – einmal in die Welt gesetzt – immer einen üblen Beigeschmack hinterließen, auch wenn sie aus der Luft gegriffen seien.
Gemobbt werde meist durch Anwendung psychischer Gewalt, derer sich vor allem Menschen mit höherem Bildungsgrad bedienten. Untersuchungen zufolge treffe man Mobbing vorrangig dort an, wo die Leistungen relativ schlecht messbar seien, etwa in Behörden. Der Psychoterror habe in mehrfacher Hinsicht schlimme Folgen für das Opfer, dessen Persönlichkeitsmerkmale oder Charaktereigenschaften nicht die Ursache des Geschehens seien, so dass es grundsätzlich jeden treffen könne.
Muss der Betroffene Gerüchte über sich erdulden, falsche kränkende Beurteilungen seiner Leistungen hinnehmen oder sich – wie in 52 Prozent der Fälle üblich – sich als psychisch krank bezeichnen lassen, wirkt sich das erwiesenermaßen auf seine Gesundheit aus sowie auf den Partner oder die Familie.
Von sekundärer Traumatisierung spricht man, wenn die Angehörigen dem Geplagten auch noch Mitschuld an der Situation geben. Die Folgen gleichen laut Drat denen bei einer vergewaltigten Frau, die im Prozess vom Täter beschuldigt wird, ihn zu Tat verleitet zu haben. Glaube ihre Familie diese Behauptung, leide sie darunter noch mehr als unter dem Verbrechen selbst. Doch nicht nur das Individuum ist nach den Erfahrungen des Sozialpädagogen von den Schikanen betroffen, sondern häufig auch das Arbeitsklima und damit das gesamte Unternehmen.
Für Mobbingopfer, Arbeitnehmervertreter sowie Arbeitgeber oder Menschen mit anders gearteten Arbeitsplatzkonflikten bietet der VPSM in der Beratungsstelle „Balance“ seit sieben Jahren Unterstützung, Vermittlung, Schlichtung sowie Mediation durch Experten, zu denen Ärzte verschiedener Disziplinen ebenso zählen wie Psychotherapeuten und Juristen.
Der gemeinnützige Verein, der derzeit von 235 Förderern finanziert wird und Weitere sucht, hat sein Angebot ab 1. August erweitert und ...