Mobbing jetzt auch im Reitstall
Wer sich in der Freizeit bei seinem Pferd vom Streß erholen möchte, braucht in vielen Reitställen ein dickes Fell. Nicht etwa die Vierbeiner, sondern die lieben Reiterkollegen können das Hobby zur Geburtsstätte von Magengeschwüren werden lassen. Die kuriosen Geschichten, die sich um das Reiter- und Liebesleben der Betroffenen ranken, erinnern oft an schlechte Seifenopern. Obwohl sie für Außenstehende einen komischen Charakter haben, stehen bösartige Intrigen dem berühmt-berüchtigten Mobbing am Arbeitsplatz in nichts nach.
Andrea (die vollen Namen sind der Redaktion bekannt, werden aber auf Wunsch der Befragten nicht veröffentlicht), die mit ihrem Hannoveraner in Neuss steht, berichtet: „Bei uns spricht jeder über jeden. Besonders betroffen sind die halbwegs erfolgreichen Tunierreiter, die alle angeblich gar nicht reiten können und die Schleife nur wegen Bekanntschaft mit dem Richter bekommen. Die besten Kommentare kommen meist von Leuten, die gut daran täten, ihre Zeit auf dem Pferderücken anstatt im Reiterstübchen zu verbringen. Am besten ist es, sich ganz aus dem Gerede rauszuhalten. Trotzdem habe ich nach einem Tuniererfolg manchmal keine Lust, in den Stall zu fahren.“
Wer seinen Erfolg aus Angst vor Sprücheklopfern nicht mehr richtig genießen kann, sollte an seiner Einstellung arbeiten - frei nach dem Motto: Mitleid bekommt man umsonst. Neid muß man sich hart erarbeiten.“
Mißgünstige Blicke gehören allerdings zu den kleineren Übeln, schlimm wird es wenn erste Vorwürfe ins Spiel kommen. Die 16jährige Christina aus Essen hatte unter übler Nachrede zu leiden: „Mein Pflegepferd war auch bei den anderen Mädchen heiß begehrt. Als ich ihn als Einzige regelmäßig reiten durfte, wurde alles versucht, mich bei der Besitzerin schlechtzumachen. Das ging sogar soweit, daß die Mädels behauptet haben, ich würde Wotan beim Reiten verprügeln. Martina die Besitzerin, hat mir zwar versichert, daß sie dem Gerede keinen Glauben schenke, aber das Vertrauensverhältnis war irendwie gestört. Als die Gemeinheiten kein Ende nahmen, habe ich den Reitstall gewechselt.“
„Eine Entscheidung, die gut nachvollziehbar und manchmal der einzige Ausweg ist“, kommentiert die Berliner Diplom-Psychologin Elisabeth Metzner. Bevor man jedoch die Flucht ergreift, solle man das Gespräch suchen. Elisabeth Metzner weiß: „Kriegt man mit, daß hinter dem Rücken gelästert wird, kann es helfen, wenn man die Leute direkt darauf anspricht. Mit einer ordentlichen Portion Humor und einem Schuß Selbstironie nimmt man den meisten Lästermäulern den Wind aus den Segeln.“
Werden die Gerüchte zu ernsten Anschuldigungen bis hin zur Verleumdung, wie bei Melanie aus Meerbusch, die für das Verschwinden von Hufkratzern, Halftern und Futter verantwortlich gemacht wurde, sollte man schleunigst Gegenmaßnahmen ergreifen. Bevor der Ruf völlig ruiniert ist, kann ein ruhiges Gespräch mit Anklägern und Vereinsvorsitzendem zur Klärung beitragen. Für die Atmosphäre im Reitstall kann sogar ein richtiges Gewitter förderlicher sein als falsche Freundlichkeit.
Gerüchte ganz anderer Art entstehen durch die im Reitsport so rar gesäten Männer. Die Spekulation darüber, wer mit wem und wo könnten endlos fortgesetzt werden. Der Phantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Abgesehen davon, daß Beziehungskisten ein abendfüllendes Thema für jede Fete im Reiterstübchen sind, sind die wenigen männlichen Reiter, falls sie auch nur halbwegs tageslichttauglich sind, bei der Damenwelt heiß begehrt. Nicht nur pubertierende Teenies reißen sich darum, dem Reitlehrer die Stiefel putzen zu dürfen - auch bei erwachsenen Frauen kann wahrer Krieg um einen reitenden Mann entstehen. Opfer der hier entstehenden Gerüchte sind meist weniger die Männer als die weiblichen Wesen, die es geschafft haben, den Reiter für sich zu gewinnen.
Ein ganz besonders beliebter Zeitvertreib ist die Ent- und Aufdeckung heimlicher und verbotener Affären. Nichts scheint so spannend zu sein, als herauszufinden, mit wem Herr Müller gerade seine Frau betrügt und dieser das postwendend mitzuteilen. Ist der Bedarf an untreuen Männern nicht gedeckt, wird auch gerne ein bißchen erfunden. Jürgen aus Krefeld berichtet: „Meiner Freundin wurden die wildesten Stories erzählt. So wollte mich eine Verleumderin nicht nur knutschend mit einer Bekannten auf dem Putzplatz gesehen, sondern auch noch in flagranti in der Strohkammer erwischt haben. Hinterher wurde es uns zu blöd, und wir haben nichts mehr abgestritten. Daraufhin waren wir für unsere Märchentante nicht mehr interessant.“
Wer unter Hobbydetektiven, die gerne mal im Terminkalender schnüffeln, leidet, kann sich trösten. Lothar Drat, Mitarbeiter beim „Verein gegen psychosozialen Streß und Mobbing e.V.“ erklärt: „Die größten Moralapostel haben oft selbst den meisten Dreck am Stecken. Wer lauthals über andere herzieht, will nur von seinen eigenen Schandtaten ablenken.“
Eingefleischte Cliquen machen es besonders den „Neuen“ im Stall schwer, Fuß zu fassen. Karin aus Wuppertal kann das bestätigen: „Als ich mit 14 hier auf den Hof gekommen bin, hat keiner von den Mädchen richtig mit mir geredet, sie haben mich richtig ausgegrenzt. Die anderen in meinem Alter hatten alle teure Pferde, da wurde ich mit meinem alten Pony natürlich belächelt. Erst nach ein paar Monaten hatte man sich besser kennen gelernt, und da fanden sie auch meinen Dicken ganz süß“. Andersartigkeit scheint ein Problem zu sein, das Elisabeth Metzner beobachtet: „Der Mensch neigt dazu, alle, die sich von ihm unterscheiden, erst mal abzulehnen. Deshalb werden auch so genannte Randgruppen Arbeitslose oder Behinderte oft von der Gesellschaft ausgegrenzt. Wer sich als Neuer nicht sofort in eine Gruppe anpasst, hat es schwer, sich einzuleben.“
Die Möglichkeiten, einer „unerwünschten“ Person den Stall madig zu machen, sind schier unbegrenzt. Die Liste der Beispiele reicht von Kontaktverweigerung, übler Nachrede, lauten Beschimpfungen und Beleidigungen bis hin zu kindischen Aktionen, wie Pferdeäpfel in Reitstiefel zu deponieren. Treffen kann es jeden. „Es gibt keinen bestimmten Typ Mensch, der gemobbt wird. Auffällig ist aber, dass die meisten Intrigen von Leuten ausgehen, die selbst nicht durch ihre Leistung auffallen und sich irgendwie interessant machen wollen“, erklärt Lothar Drat.
Wenn der Gang zum Pferd zur Qual wird, sollte man schleunigst Gegenmaßnahmen ergreifen: „Im Ernstfall muß man sich überlegen, ob man die Situation verläßt, sprich den Stall wechselt oder zum Gegenangriff ansetzt. Wenn die Lästerei zu wirklichem Psychoterror wird, sollte man fachliche Hilfe in Anspruch nehmen“, rät Drat. „Das Phänomen Mobbing tritt immer häufiger am Arbeitsplatz, aber auch im Freizeitbereich auf. Vermutlich liegt das am steigendem Wertverfall in unserer Gesellschaft. Statt Respekt und Solidarität zählen oftmals nur noch Erfolg und Überlegenheit.“