Von Kollegen in den Tod getrieben?
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Eine junge Frau aus Bayern, die bei der Berliner Polizei arbeitete, erschoss sich aus Verzweiflung. Sie fühlte sich von Vorgesetzten und Kollegen verfolgt – kein Einzelfall

Zum Schluss zog es die junge Polizistin noch einmal nach Hause. Ein letztes Mal ging sie mit ihren Eltern an der Donau spazieren. Mittags, als in Straubing die Glocken läuteten, setzte sie sich die Sportpistole ihres Vaters an den Kopf und drückt ab. Die 24jährige Stefanie L. war sofort tot.

Sie hat keinen Zweifel daran gelassen, wem sie die Schuld gibt: ihren Vorgesetzten und Kollegen bei der Polizei in Berlin. „Tödliches Mobbing?" fragte das Boulevard-Blatt „BZ" Auf 25 Seiten hat Stefanie L. ihre Sicht der Ereignisse dargelegt – für ihren Anwalt, der ihre Klage gegen das Land Berlin vertritt. Schon kurz nachdem sie in die Hauptstadt gekommen war, hatte sich die Tochter eines Bundeswehroffiziers mit ihrer Dienstauf-fassung bei Kollegen unbeliebt gemacht. Selbst am frühen Ostermontag, wo manche es auch schon mal gern etwas ruhiger angehen lassen, wollte die Bayerin noch unbedingt Streife in ihrem Revier im nördlichen Pankow fahren.

Erbost meldete die junge Frau zwei Kollegen bei ihrem Vorgesetzten „die, um in Ruhe Karten spielen zu können, eine Einsatzübersicht gefälscht haben". Auch bei der Abteilung Verbrechensbekämpfung der Polizeidirektion I im Wedding, wo Stefanie L. einige Tage zur Einarbeitung war, eckte die Frau mit ihrem Eifer an.

Sie fühlte sich isoliert und schikaniert. Doch weder dem Personalrat noch der Gewerkschaft der Polizei vertraute Stefanie ihre Nöte an. Der Versuch, mit ihrem Vorgesetzten zu reden endete in einem Fiasko. Wenige Stunden danach stürmte ein Sondereinsatzkommando der Polizei ihre Wohnung riss die Frau aus dem Bett und lieferte sie in eine Nervenheilanstalt ein. – wegen angeblicher Geistesgestörtheit und akuter Selbstmordgefahr. Die Aufnahmeärztin jedoch schickte Stefanie L. umgehend heim.

Dennoch erstellte der ärztliche Dienst der Polizei ein Gutachten, das Stefanie L. für "dauernd polizeiunfähig" erklärte. Die junge Frau erstattete Anzeige gegen ihren Vorgesetzten, eine Polizeipsychologin und eine Mitarbeiterin der polizeilichen Sozialbetreuung. Doch sie war mit ihrer Kraft am Ende, verließ die Stadt und fuhr nach Straubing.

Am Montag will sich der Berliner Innenausschuss mit dem Fall befassen. Für Grünen-Fraktionschef Wolfgang Wieland ist nach einem Gespräch mit Stefanies Eltern klar „Das war Mobbing". Polizeipräsident Hagen Saerschinsky will davon nichts wissen: ein „tragischer Einzelfall". Ein Mobbing-Problem geben es nicht. Das zeuge „entweder von Unkenntnis des wahren Sachverhalts oder von dem Wunsch, von der eigentlichen Problematik abzulenken", meint dagegen Eberhard Schönberg, Chef der Gewerkschaft der Polizei. Beim Polizeiarbeitskreis der Berliner CDU häufen sich die seit Stefanies Tod Anrufe von Polizisten, die sich von Kollegen und Vorgesetzten terrorisiert fühlen. Seit einem Jahr listet das Gremium Fälle auf, in denen engagierte Beamtinnen und Beamte regelrecht zerbrochen wurden. Die Resonanz bei der Polizeispitze, so Arbeitskreischef Ulrich Krüger, „war eher verhalten".

Die Zahl der Mobbing-Opfer in Behörden nimmt nach den Erfahrungen des Vereins gegen psychosozialen Stress und Mobbing in Wiesbaden ständig zu. Jedes zweite Mobbing-Opfer das sich ihm meldet, komme inzwischen aus dem öffentlichen Dienst. ...

Vereinsvorsitzender Lothar Drat: ... Wie unliebsame Kollegen zur Räson gebracht oder fertig gemacht würden, funktioniere immer nach dem gleichen Schema. „Zuerst werden Gerüchte gestreut. Wann das nichts nützt, werden die Leute verdächtigt, psychisch krank und somit dienstunfähig zu sein."

Diesen Mechanismus hat auch der inzwischen pensionierte Berliner Polizeioberkommissar Wolfram Polewyczynski erfahren. Der heute 61jährige hatte im Frühjahr 1996 die „Lumpen-Affäre" ans Tageslicht gebracht. Vier Jahre lang hatten rumänische Abschiebehäftlinge im Gewahrsam der Berliner Polizei „Aus Sicherheitsgründen" ihre Kleidung ablegen müssen. Statt dessen bekamen sie ausrangierte Trainingsanzüge der Polizei, durchlöchert, zerrissen und mit herausgetrennten Reißverschlüssen. Als der einstige SEK-Beamte und Präzisionsschütze sich über diesen „Rassismus" von oben und Sadismus von unten" empörte und sich auch noch über Dienstvergehen von Kollegen und Vorgesetzten beschwerte, wurde er zum Querulanten abgestempelt Wegen vermuteter „neurotischer Störungen" schickte ihn sein Chef zum Polizeiarzt. Polewczynski wurde versetzt und mit Ermittlungsverfahren überzogen. Dreimal innerhalb eines Jahres musste er sich auf krankhafte Veränderung der Persönlichkeit" untersuchen lassen. Polewczynki: "Die haben regelrecht Jagd auf mich gemacht"

Bei mehr als einem Drittel der Fälle würden die Opfer verdächtigt, psychisch krank zu sein, weiß Drat. „Fast zehn Prozent werden zwangsweise zur ärztlichen Untersuchung ...."

Auch eine Versetzung nütze nichts. Die Dienststellen, auf die die Betroffenen abgeschoben werden, seien in der Regel über den „Problemfall" und die angeblichen Vergehen informiert. Die Betroffenen würden „wieder Zielscheibe", so Hans-Heiner Salbrecht, Lehrer an der Berliner Landespolizeischule und Mitglied des CDU-Polizeiarbeitskreises. So erging es auch einer 42jährigen Kriminalhauptkommissarin. Der Psychoterror begann, als sie sich weigerte, mit ihrem Vorgesetzten ins Bett zu gehen. Die Beamtin wurde versetzt, doch ihr Fall hatte sich längst in ihrer neuen Dienststelle herumgesprochen. Sie durfte nur noch Fingerabdrücke abnehmen und Abfragen in den Computer eintippen. Mit Unterstellungen wie „nuttiger Kleidung" und mangelnder körperlicher Fitness wurde sie weiter verfolgt. „Das Mobbing gegen meine Mandantin ist superklassisch", sagt ihr Anwalt Hans-Christian Ströbele. Jetzt ist der Fall vor dem Berliner Verfassungsgericht gelandet.

Inzwischen hat auch Polizeipräsident Saberschinsky reagiert. Er rief eine Mobbingkommission ins Leben – nachdem Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) möglichen Mobbingopfem angeboten hatte, sich direkt an ihn zu wenden.

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