Hilfe gegen Psychoterror am Arbeitsplatz
von Anja Baumgart-Pietsch
„Mobbing" ein Schlagwort, ein Modebegriff, wieder ein neues Psycho-Problemchen von Leuten, die sich eigentlich nur „anstellen"? Das habe er anfangs auch gedacht, sagt der Sozialpädagoge Lothar Drat. Doch im Laufe seiner eingehenden Beschäftigung mit dem Thema Psychoterror am Arbeitsplatz sei er ganz schnell von dieser Ansicht abgekommen. Was manchmal in ganz normalen Büros abläuft, ist der blanke Horror. Zahlen zu nennen, ist schwierig – doch laut Drat, Vorsitzender des in Wiesbaden ansässigen „Vereins gegen psychosozialen Stress und Mobbing" wird mittlerweile jeder sechste Selbstmord aus solchen Gründen begangen. Und das Risiko, im Laufe von 30 Berufsjahren zum Mobbing-Opfer zu werden, betrage eins zu vier.
Systematische Mobbing-Forschung wurde in der Vergangenheit vor allem in Schweden betrieben. Professor Heinz Leymann ist der „Vater dieses Spezialbereiches der psychologischen Forschung. Er definiert Mobbing als einen Prozess der konfliktbeladenen Kommunikation zwischen Kollegen oder zwischen Vorgesetzten und Untergebenen. Das ist aber nicht einfach der üble Scherz auf Kosten Schwächerer, wie man ihn auch oft erlebt. Richtiges Mobbing dauert länger an, wird systematisch betrieben und hat das Ziel den Ausschluss des „Gemobbten" aus dem Arbeitsverhältnis. In den in Bezug auf Arbeitsplätze immer härter werdenden Zeiten kann sich so mancher auf diese Weise versuchen, eines unliebsamen Konkurrenten zu entledigen. Eine weitere Variante ist es, Arbeitnehmer so weit zu bringen, dass sie entnervt von selbst kündigen und man ihnen keine Abfindung zu zahlen braucht. Professor Leymann berichtet von einem Fall, in dem einer seiner wissenschaftlichen Kollegen gezielt nach Mobbing-Strategien gefragt wurde, um kostengünstig Personal abbauen zu können.
Bei solchen Methoden nimmt es nicht wunder, dass es für den Verein genügend Arbeit gibt. Personen mit massiven körperlichen und psychischen Problemen, die aufgrund der Situation am Arbeitsplatz aufgetreten sind, finden dort Rat und Hilfe. Dabei beobachtet Drat, dass eher Frauen als Männer Hilfe suchen. Oft sind es auch solche Personen, die sich immer für stark und sicher gehalten haben und auf einmal mit der Situation nicht mehr fertig werden. Das ist für sie eine Erfahrung, an der sie zu zerbrechen drohen.
In Einzel- und Gruppengesprächen werden die Geschehnisse aufgearbeitet, geht es um den Umgang mit übler Nachrede, Gerüchten, Telefonterror, Isolation und den vielfältigen psychosomatischen Beschwerden, die aus solchen verzweifelten Lagen entstehen können. Dabei werden die Betroffenen von Fachleuten verschiedener Richtungen beraten: Juristische, medizinische und psychosoziale Hilfe kann bei dem Verein erhalten werden.
„Wir versuchen auch durch Öffentlichkeitsarbeit und Weiterbildungsangebote dem Problem vorzugreifen", sagt Lothar Drat. In Firmen und Behörden arbeiten er und seine Mitarbeiter mit den Personalabteilungen und Betriebsräten zusammen, um über das Phänomen aufzuklären und Sensibilität dafür zu wecken. Gerade wurde er von verschiedenen Medien als Experte zum Fall einer jungen Berliner Polizistin befragt, die dem Terror ihrer Kollegen nicht standgehalten hatte. Sie erschoss sich mit der Pistole ihres Vaters. „Überdurchschnittlich viele Anfragen kommen von Angestellten des öffentlichen Dienstes", berichtet Drat. Aber auch in der freien Wirtschaft gibt es natürlich Probleme dieser Art.
Auch Entspannungskurse stehen auf dem Programm des Vereins. In der Beratungsstelle „Balance" in der Walter-Gieseking-Straße 34 in Wiesbaden und in den Räumen der evangelischen Versöhnungsgemeinde finden die Kurs- und Beratungsangebote statt Kontakt-Telefonnummern: 0611-541737 und 0172-6133857.
Der Verein, der Ende 1995 gegründet wurde, hat mittlerweile etwa 70 Mitglieder und 22 ehrenamtliche Mitarbeiter verschiedener Fachrichtungen: das Einzugsgebiet reicht von Worms bis Friedberg. Weitere Ziele für die Zukunft sind die Gründung von Selbsthilfe-gruppen und die Einrichtung eines „Notruftelefons", das ganz akute Soforthilfe für Betroffenen bieten könnte. Und davon gibt es leider mehr als genug, denn in manchen Büros, so weiß Lothar Drat nach jahrelanger Beschäftigung mit dem Thema, weht ein äußerst rauer Wind.