Systemisches Hokuspokus

Alles Luhmänner?

von Dipl. Psych David M. Beckmann
Systemisch arbeiten - nur wenige wissen, was sie da tun

Ein Gespenst geht um in Europa. Wenige Therapeuten, Berater oder ähnliches scheint es noch zu geben, die sich nicht einer systemischen Ausbildungskur unterzogen haben. Systemisches Wissen (oder was dafür gehalten wird) ist tief eingedrungen in Sprache und Denken der Szene und passt auch in den Geist der Zeit: Arbeiteten die Helfer des letzten Jahrhunderts mit humanistischem Hintergrund noch am Ausdruck der inneren Emotion und galten Tränen oft als Trophäe des Erfolgs, so zeigt heute die Coolness gelingender Intervention: Systeme heulen einfach nicht. '

"Sie arbeiten also auch systemisch? Dann verstehen wir uns." Systemtheorie ist Mode, aber nur wenige haben sie wirklich verstanden. Denn es ist eine Kunst, diese Haltung einzunehmen, und eine noch höhere, die richtigen Konsequenzen und Interventionen zur jeweiligen Situation zu finden. Systemische Haltung kennzeichnet sich vereinfacht dadurch: die Welt des anderen kennen- und verstehen zu lernen und dem anderen einen neuen Blick in die eigene Welt, in das eigene System, zu ermöglichen. Vielleicht ebenfalls: Es dem anderen zu ermöglichen, sich so in die eigenen Belange einzumischen. Im Hintergrund stehen die Fragen: „Wo sind das Denken und Verhalten durch die Realität geprägt, oder wann prägt unser Denken und Verhalten die Wirklichkeit?"

Systemisches Wissen und Wissenwollen

Wer ein System betrachtet und beraten will, will Regeln verstehen. Menschen verstehen heißt: die Regeln ihrer Kommunikation verstehen. Regeln sind sozial geschaffen und implizit oder explizit konstruiert. In jedem System gilt ein bestimmter Satz an Regeln. „Wenn Sie in diesem System dieses oder jenes tun, dann ...". Systeme lassen sich deshalb danach unterscheiden, welche Regeln in ihnen gelten. Über die Zeit hinweg betrachtet, wirken die Regeln als Muster und Strukturen. Sie wirken auf die Kultur, das Verhalten und die Haltung der Menschen. Sie spiegeln die Werte, die hinter dem kulturellen System stehen. Alle Zeichen, Riten und Symbole, derer sich eine Kultur bedient, sind sowohl Ursachen als auch Wirkungen dieser Regeln.

Eine wesentliche Unterscheidung in einem systemischen Konzept ist die System-Umwelt-Unterscheidung. Alles, was nicht zum System gehört, bildet die Umwelt des Systems. So kann auch ein soziales System Umwelt für ein anderes soziales System sein. Diese Unterscheidung ist wichtig, da Systeme nach Regeln operieren und funktionieren: „Immer wenn ..., dann ...". Darum können sogenannte Systemiker nie sagen: „Weil die Sonne scheint, wird die Bank warm", sondern nur: „Immer wenn die Sonne scheint, wird die Bank warm." Systemische Haltung fragt deshalb nicht nach Ursachen von Verhalten, sondern sie fragt nach der Funktionalität des Verhaltens: „Welchen Zweck hat es? Welche Wirkungen sind beobachtbar? Was wäre, wenn sich das Verhalten so und so ändern würde? "

Die Konsequenzen – Rollen und Regeln

Die Muster sorgen dafür, dass Menschen in sozialen Systemen Rollen einnehmen. Rollen sind so etwas wie Knoten von verfestigten Mustern und Regeln in einer Person. Was wir als Charakter wahrnehmen und der Person für innewohnend halten, ist nur ein solcher „Knoten" - die besonderen Bedingungen der gerade jetzt und gerade so wirkenden Regeln. Würde man die Regeln in einem System ändern, würde sich auch das Verhalten ändern. Und diese Änderung geschieht durch das Erlernen und aktive Verändern der Regeln.

Die Wirklichkeit ist abhängig vom Beobachter. Das heißt, die Wirklichkeit wird eher erfunden, als dass wir sie entdecken. Die Welt ist nur scheinbar objektiv. So sind Beobachtungen nicht absolut, wie es positivistische Weltanschauungen oder auch die klassische Naturwissenschaft gerne suggerieren, sondern relativ in Bezug auf den Gesichtspunkt des Beobachters. Im Erleben und in der Einschätzung von Geschehnissen und in ihrem Umgang mit ihnen haben Menschen einen sehr großen Interpretationsspielraum. Und sie nutzen ihn in Bezug auf ihre Muster und Regeln: „Immer wenn ..., dann ..." - und die Analyse dieser scheinbaren Kausalität hat dann Folgen: Wir verändern unsere Urteile über gut oder schlecht, hilfreich oder nicht hilfreich, gefährlich oder ungefährlich ...

Therapeutische Interventionen mit dem Ziel von Veränderungen im Handeln und Erleben zielen mit diesem Ansatz eher auf eine Änderung der Interpretation des Erlebten, wobei sich das Erlebte verändert und somit auch die Reaktionen darauf. Deutung von Situationen ist damit nicht nur ein Versehen mit Bedeutung: „So ist es eben", sondern ein zirkulärer Prozess, der eher so lautet: „So wird (und wirkt) es gerade." und „so könnte es vielleicht anders wirken"...

 

Lit.(2009): Reineck et. al, Beltz Handbuch Führungskräfte trainieren, s. Veränderungskompetenz – Systemisches Wissen

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